Pfarrkirche St. Vitus
Die heutige katholische Pfarrkirche St. Vitus ist die Kirche des ehemaligen Benediktinerinnenklosters, das der Paderborner Bischof Bernhard I. von Oesede (1127-1160) vor nunmehr 850 Jahren in Willebadessen gründete. Kloster Willebadessen steht als letztes in einer Reihe von fünf Klostergründungen Bemhards I., darunter das etwas ältere Benediktinerinnenkloster in Gehrden (1142) und die Lieblingsgründung des Bischofs, das Zisterzienserkloster Harderhausen (1140). Nach der im Pfarrarchiv aufbewahrten Gründungsurkunde von 1149 errichtete der Bischof das neue Kloster an einer bereits bestehenden „ecclesiola“, einem Kirchlein, das er zusammen mit dem Pfarrgut der neuen Klostergemeinschaft übereignete. Der Ort Willebadessen in dem schon in sächsischer Zeit besiedelten Gebiet am östlichen Fuße des Eggegebirgskammes ist also älter als das Kloster, sein Name erscheint erstmals 1065 in einer Urkunde.
Die Klostergründung erfolgte auf Bitten des in der Nähe ansässigen bischöflichen Ministerialen Ludolf von Osdagessen (nachweisbar 1126-1158). Ludolf sorgte durch die Übertragung von Grundbesitz aus seinem Eigentum für eine auskömmliche wirtschaftliche Grundlage der Neugründung, in die seine sechs Töchter als Nonnen eintraten. Bis 1158 schlossen sich weitere Schenkungen durch Ludolf und andere örtliche Ministerialenfamilien an. 1183 bestätigte der Papst den Besitz des Klosters. Nach erfolgter wirtschaftlicher Konsolidierung der Ordensniederlassung wird man bald nach der Mitte des 12. Jahrhunderts mit dem Bau der Konventsgebäude und der Klosterkirche begonnen haben. Ob die Klosterkirche, die der Jungfrau Maria und den Heiligen Vitus, Cosmas und Damian geweiht war, an der Stelle des zunächst genutzten „Kirchleins“ errichtet wurde, ist unbekannt.
Die neue Klostergründung entwickelte sich offenbar günstig. 1318 verlieh das Kloster der nördlich vor dem Klosterbezirk gelegenen Siedlung mit Billigung des bischöflichen Landesherrn die Stadtrechte, wobei die Bürgerschaft vom Kloster abhängig blieb und nicht alle städtischen Rechte und Freiheiten erhielt (Minderstadt). Die Stadt wurde befestigt und zog zahlreiche Bewohner der umliegenden Ortschaften in ihre Mauern. Seit 1490 ist die Stadtkirche St. Rochus belegt, die bis zu ihrem Abbruch 1830 als Pfarrkirche diente. An ihrer Stelle im mittelalterlichen Dorfkern unweit des Torhauses des Klosters steht die heute von der Auslandsgesellschaft Nordrhein-Westfalen genutzte ehemalige Schule. Die Pfarrstelle nahm ein vom Kloster angestellter Geistlicher wahr.
Der Konvent des Benediktinerinnenklosters bestand aus Angehörigen des niederen Adels der Umgebung und in späterer Zeit zunehmend auch aus Bürgerlichen und Unfreien. Ranghöchste Nonne war die Priorin, in späterer Zeit auch Äbtissin genannt, unterstützt von der Subpriorin. Die Aufsicht über die geistlichen und wirtschaftlichen Belange unterstand dem Abt eines Männerklosters des Ordens im Paderborner Bistum, wobei die Zuständigkeit gemäß des freien Wahlrechts des Konvents zwischen den Klöstern Abdinghof in Paderborn und Marienmünster (vornehmlich im 17. und 18. Jahrhundert) wechselte. Vertreter des Abtes vor Ort war der Propst, der zusammen mit der Priorin das Kloster leitete.
Als es gegen Ende des 15. Jahrhunderts mit der Klosterzucht in Willebadessen, wie in anderen Klöstern auch, nicht mehr zum Besten bestellt war, verfügte 1473 der Paderborner Bischof Simon III. zur Lippe (1463-1498) die Einführung der Bursfelder Reform. Eine neue Blüte des religiösen und künstlerischen Lebens war die Folge. Als Erfolg der Erneuerung der Klosterdisziplin darf man sicher auch werten, daß der Konvent in der Reformationszeit dem katholischen Glauben treu ergeben blieb.
Der Dreißigjährige Krieg brachte mit dem Einfall der Hessen 1634 auch über Willebadessen und sein Kloster Zerstörung und Leid. In der auf den Friedensschluß folgenden allgemeinen Konsolidierungsphase traf es die Stadt dann noch einmal durch die großen Brände von 1656 und 1669 sehr hart. Das Kloster blieb allerdings verschont. Ende des 17. Jahrhunderts begann hier die Barockisierung der Klosteranlage, bei der die Kirche eine durchgreifende Umgestaltung erfuhr und bis zur Mitte des folgenden Jahrhunderts fast alle Konvents- und Wirtschaftsgebäude neu errichtet wurden.
Nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges, in dem das Kloster durch Kontributionen, Einquartierungen und Kanonenbeschuß im Jahr 1761 wiederum schwer gelitten hatte, bemühte sich der Paderborner Fürstbischof Wilhelm Anton von der Asseburg (1763-1782) um die Hebung der erneut erheblich gesunkenen Klostermoral. Seine Anordnung von 1782, zum gemeinsamen Leben in der Klausur und zur Befolgung der benediktinischen Ordensregel zurückzukehren, stieß bei den Nonnen zunächst auf Widerstand. Erst 1785 konnte die Anordnung durch Fürstbischof Friedrich Wilhelm von Westphalen (1782-1789) endgültig durchgesetzt werden.
Im Gegensatz zu den bereits 1803 von der preußischen Regierung säkularisierten Männerklöstern im ehemaligen Paderborner Fürstbistum, blieb dem Benediktinerinnenkloster Willebadessen noch eine kurze Frist bis zur Auflösung. Am 7. Juni 1810 verfügte der König von Westphalen als Landesherr die Aufhebung des Klosters. Die Äbtissin und die noch im Kloster lebenden zwölf Nonnen und fünf Laienschwestern erhielten eine Pension und lebenslanges Wohnrecht im Konventsgebäude. Das Klostergut ging mit den Gebäuden schon im Jahr der Aufhebung durch Kauf in Privatbesitz über (Familie von Spiegel zu Borlinghausen) und gelangte 1871 an die freiherrliche Familie von Wrede. Aus dem Kloster war das Schloß Willebadessen geworden. Die Klosterkirche wurde 1830 Pfarrkirche von Willebadessen. Seit 1979 sind Teile der Konventsgebäude und die Abtei in das Eigentum der Stiftung „Europäischer Skulpturenpark Willebadessen“ überführt.
Bei der ehemaligen Klosterkirche St. Vitus handelt es sich, rekonstruiert man ihre ursprüngliche Gestalt, um eine kreuzförmige, dreischiffige Pfeilerbasilika von zwei Jochen im gebundenen System, d.h. auf ein quadratisches Hauptschiffsjoch kamen zwei Seitenschiffsjoche. Die Kirche war, wie auch heute noch, mit Kreuzgratgewölben über abgekragten Wandvorlagen gewölbt. Das jetzt zum Teil barock vermauerte und flach gedeckte südliche Seitenschiff hatte ein nicht mehr vorhandenes nördliches Gegenstück, beide Seitenschiffe waren gewölbt. Der rechteckige, einjochige Chor und die Querhausarme waren mit heute fehlenden Apsiden versehen. Die Art des Westabschlusses ist unbekannt. Aus dem überkommenen Baubestand läßt sich weder ein einzelner Westturm noch ein zweitürmiges Westwerk ableiten, ebenso wenig ein Vierungsturm. Auch für eine ehemalige Krypta konnte man beim Einbau der Heizung im Chor 1966 keine Anzeichen entdecken. Planmäßige archäologische Grabungen sind jedoch bis heute nicht vorgenommen worden.
Mit ihrer Raumdisposition und den Abkragungen der Gewölbevorlagen auf Viertelkreiskonsolen steht die Willebadessener Kirche genau wie der ungefähr gleichzeitige Gehrdener Kirchenbau und die Kilianskirche in Lügde in der Nachfolge der Kirche des Lippoldsberger Benediktinerinnenklosters, eines der frühesten norddeutschen Großgewölbebauten, errichtet von 1142-51. Im Gegensatz zu Gehrden übernimmt Willebadessen von dort aber nicht den dreischiffigen Chor nach Hirsauer Muster und auch nicht die mit eingestellten Säulen versehenen (kantonierten) Pfeiler als Zwischenstützen der Seitenschiffarkaden. Das Motiv der Abkragungen ist in der Vierung nur noch Formzitat ohne statische Bedeutung, da in Weiterentwicklung des Lippoldsberger Vorbildes alle Gewölbebögen aus der rechteckigen Pfeilerrücklage entspringen, die zusätzlichen schmaleren Unterzüge also eigentlich überflüssig sind. Die Datierung des romanischen Baus der Willebadessener Kirche in die 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts ergibt sich vor allem aus der Abhängigkeit vom architektonischen Vorbild Lippoldsberg, die Willebadessen mit einer Reihe weiterer Kirchenbauten des Weserraums teilt.
Sehr stark in den romanischen Bestand eingreifende bauliche Veränderungen erfolgten in der späten Gotik, als der Chor seine heutige Gestalt mit den drei hohen Maßwerkfenstern erhielt und vermutlich neu eingewölbt wurde. Im Gegensatz zu der damals abgebrochenen romanischen Chorapsis blieb zumindest die Seitenapsis am südlichen Querhausarm offenbar zunächst bestehen. Eine gemalte Ansicht von Kirche und Kloster aus dem fahr 1665 von Südosten (zerstört) zeigt diese Apsis noch, daneben ein Portal. Chor und Querhaus deckt auf der Ansicht ein steiles Satteldach mit gemauerten Giebeln, das über der Vierung mit einem Dachreiter gekrönt wird. Ob auch das Kirchenschiff Veränderungen erfuhr, ist heute nicht mehr festzustellen und geht auch aus der Ansicht von 1665 nicht hervor.
Die größten, bis heute bestimmenden Umbauten der Kirche brachte Anfang des 18. Jahrhunderts die Barockisierung der gesamten Klosteranlage mit sich. in den Jahren 1720-1722 wurde das nördliche Seitenschiff abgebrochen, das südliche vermauert und in die Klostergebäude miteinbezogen. Das Hauptschiff erhielt neue, den alten in der Grundform entsprechende Gewölbe. Die Fassaden, mit Ausnahme des Chores, erfuhren eine Neugestaltung. Das Kirchendach wurde nach Abbruch der Giebel als Walmdach über einem hölzernen Gesims neu errichtet und über den Querarmen mit den charakteristischen Glockentürmchen als Dachreiter versehen. Die weitreichenden Umbauten hatten zur Folge, daß die Kirche 1722 neu konsekriert werden mußte. Im Inneren wurde 1722/23 eine Nonnenempore neu erbaut. Die gesamte Ausstattung erneuerte man grundlegend im Stil der Zeit.
In den beiden folgenden Jahrhunderten unterblieben bauliche Veränderungen weitgehend. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgten jedoch in mehreren Etappen umfassende Restaurierungsarbeiten. 1955-57 wurde die bis dahin sehr feuchte Kirche trockengelegt und im Inneren z. B. durch die Wiederöffnung eines Teils des vermauerten Südseitenschiffs eine stärkere Betonung des mittelalterlichen Raumeindrucks versucht. 1963-66 mußte der gesamte barocke Dachstuhl mit den beiden Dachreitern komplett erneuert werden. 1967 erwiesen sich eine umfassende statische Sicherung mit Gewölbesanierung sowie eine erneute Trockenlegung als notwendig. 1981 folgte eine weitere Renovierung des Inneren sowie die Reinigung und Neuverfugung des Außenmauerwerks.
Quelle: St. Vitus in Willebadessen
Reihe: Westfälische Kunststätten
Dirk Strohmann
Bilder: vitus-gemeinde.de